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Lehrling der Macht - Prolog
Lehrling der Macht
Kapitel I
Ort: Elenvina im Boron des Jahres 990 nach dem Falle Bosparans
Dramatis Personae:
Adalric Kerpsteyn, Ältester Sohn der Kerpsteyns
Mentor Hesindagoras, Geweihter der Hesinde, Betreuer der örtlichen Hesinde-Schule
Jolenta, die Magd der Kerpstenys
Ein Fremder
„Adalric! Adalric, bist du fertig?“, klang die Stimme von Adalrics Mutter die Treppe herauf.
„Ja, Mama!“, rief Adalric, sechs stolze Jahre bereits, hinunter, der gerade seine Tunika zurecht zupfte.
„Hast du auch die gute Tunika angezogen?“, fragte Mutter nach.
„Ja, Mama!“, rief erneut Adalric.
„Dann komm, beeil dich! Du willst doch nicht zu spät im Tempel sein!“, wieder Mutters Rufen.
Adalric hüpfte die Treppe hinunter, wo Mutter Elwene ihn erwartete. Sie stemmte die Hände in die Hüften.
„Hach, du hast dir wieder die Haare nicht gekämmt!“, tadelte sie und versuchte mit den Fingern zu richten, was höchstens mit einer ordentlichen Bürste zu richten gewesen wäre.
Schließlich gab sie es auf. Aus der Küche kam ein kleines Menschlein gestapft und blickte Adalric mit schief gelegtem Kopf an.
„Ada gehen?“, fragte Adalrics dreijähriger Bruder Cian.
„Ja. Sei ein lieber Cian. Ich bin bald wieder da.“, Adalric drückte seinen kleinen Bruder und tätschelte seinen Kopf.
Dann scheuchte Mama ihn schon hinaus und an Jolentas Hand macht er sich auf den Weg zum Hesinde-Tempel.
„Hesinde, lass mich nie verzagen.
Und weiß ich's nicht, dann hilft nur: fragen!“
Der Chor der Hesinde-Schüler gab das kurze Gebet fehlerfrei wieder. Sie hatten es oft gehört und schon oft gesprochen. Dabei waren nicht nur Kinder verschiedenen Alters im Unterrichtsraum, sondern auch hier und da ein paar Erwachsene, die jene Chance nutzten, die der Hesindetempel ihnen bot, um Jugendversäumnisse auszugleichen und doch noch lesen, schreiben und rechnen zu lernen.
„Sehr schön. Dann sehen wir das nächste Mal wieder.“, Hesindagoras lächelte mild, „Und vergesst nicht Eure Hausaufgaben, ja?“
Damit war der heutige Unterricht beendet. Adalric lächelte breit. Es war toll neue Sachen zu lernen. Und seine Gnaden Hesindagoras wusste so viel! Heute hatte er ihnen ein paar neue Wörter beigebracht und ihnen aufgegeben sie schreiben zu üben. Das würde Adalric sicher machen. Strahlend ging er durch den Mittelgang zwischen den Bänken. Er merkte nicht, dass ein Mann aus der letzten Reihe aufstand, als er den Tempel verließ, um ihm zu folgen.
Vor dem Tempel sah sich der Junge eifrig um, doch Jolenta war noch nicht da, um ihn abzuholen. Adalric blies enttäuscht die Wangen auf. Es war mittlerweile schon Boron und kalt draußen. Außerdem regnete es gerade. Adalric lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tempelwand neben der Tür, so war er wenigstens durch das Vordach halbwegs vorm Regen geschützt und trat von einem Fuß auf den anderen, um warm zu bleiben.
„Na, junger Freund?“, hörte er eine ruhige, tiefer Stimme neben sich, „Darf ich mich zu dir gesellen?“
Adalric blickte auf in die Augen eines Fremden. Er hatte lockige, dunkle Haare, die sein Gesicht einrahmten und trug einen Vollbart. Sein Alter war schwer zu schätzen, vor allem für einen Jungen in Adalrics Alter.
„Vater sagt immer, ich soll nicht mit Fremden reden.“, erklärte Adalric mit hoch gereckter Nase.
„Verstehe. Da hat er natürlich recht.“, der Fremde nickte lächelnd, „Aber du hast nichts dagegen, wenn ich neben dir kurz den Regen abwarte, oder? Außerdem... wir sind doch Brüder im Geiste, junger Freund.“
„Sind wir?“, Adalric sah den Fremden ehrlich überrascht an.
„Natürlich! Wir verehren doch beide die Herrin Hesinde. Das sieht man dir richtig an, dass du ein wissbegieriger junger Mann bist. Das ist eine vortreffliche Eigenschaft.“, der Fremde nickte.
Adalric lächelte und straffte seine Haltung, er wurde gleich ein paar Zentimeter größer, schien es. Er versuchte den Mann abzuschätzen, aber das war gar nicht leicht.
„Wisst Ihr denn schon viel?“, wollte er wissen.
„Oh, so einiges, mein Freund. Aber es ist nie schlecht mehr wissen zu wollen, weißt du.“, der Fremde lächelte, „Jemand, der behauptet alles zu wissen, weiß in Wirklichkeit gar nichts. Es gibt immer jemanden der mehr weiß. Oder Wissen, dass noch verborgen irgendwo liegt, das noch niemand entdeckt hat.“
Der Junge wandte sich dem Fremden zu und lauschte gespannt.
„Ich kenne ein paar andere Sprachen. Und habe schon einige Länder besucht. Ich kann dir Sternbilder zeigen und viele Pflanzen und Tiere nennen. Ich kann dir Schriften erklären und wie man fremde Schriften manchmal entziffern kann, auch wenn man sie nicht kennt. Hmmm...“, der Fremde blickte hinauf zum Vordach des Tempels, „...oh und noch so einige Sachen, denke ich. Aber das ist nur ein winziger Teil dessen, was unsere schöne Welt uns lehren kann.“
Adalric blickte bewundernd zu dem Fremden auf mit großen Augen.
„Aber dann wisst Ihr wirklich viel!“, meinte er und blickte dann verwirrt, „Warum geht Ihr dann noch in die Hesinde-Schule?“
„Nunja, ich bin gerne im Tempel der Wissenden.“, der Mann lächelte, „Ich bin vor kurzem erst in die Stadt gekommen und wollte den Tempel mal besuchen.“
Adalric legte den Kopf schief. Ja gut, irgendwie machte das Sinn. Er zuckte mit den Schultern. Der Fremde wusste schon, warum er hier war. Der Junge nickte.
„Seine Gnaden Hesindagoras weiß wirklich viel. Und er bringt uns viel bei.“, erklärte Adalric und beobachtete, wie der Regen langsam spärlicher wurde.
„Aber er wird Euch nie alles lehren, was er weiß.“, warf der Fremde ein.
„Was?“, Adalric sah den Fremden empört an, „Warum nicht?“
„Hmm... das ist schwer zu erklären, mein junge Freund.“, der Fremde fuhr sich über den Bart, „Weil der Tempel das so will, weißt du? Die Hesinde-Geweihen haben wohl Angst, dass jemandem das ganze Wissen gefährlich werden könnte.“
„Und? Kann es?“, Adalric blinzelte verwirrt.
„Manchmal.“, der Fremde lächelte.
Der Junge wollte gerade dazu ansetzen weiter zu fragen, da hörte er die Stimme der Magd Jolenta, die nach ihm rief. Eilig kam sie die Stufen zum Tempel herauf.
„Herrje, das tut mir Leid, Adalric.“, meinte sie rasch, „Ich musste noch anstehen beim Bäcker und dann fing der Regen an und...“
Die Magd hielt inne und wischte sich eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie blickte den Fremden an, der neben Adalric stand, misstrauisch.
„Na, dann verabschiede ich mich mal von dir, junger Freund.“, der Fremde lächelte und ging.
„Hesinde mit Euch!“, rief Adalric dem Fremden fröhlich nach und ließ sich dann an Jolentas Hand nach Hause bringen.
Geändert von Gwydion (29.03.2011 um 16:06 Uhr)
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